Dissertation Jörg große Schlarmann, 2011 (Young Carers)

Department für Pflegewissenschaft

Entwicklung, Implementierung und Evaluierung eines familienorientierten Hilfsangebots für Kinder kranker Eltern

Inaugural-Dissertation zur

Erlangung des Grades eines Doktor rerum medicinalium

der Universität Witten/Herdecke

im Bereich der Medizin

vorgelegt von Jörg große Schlarmann

aus Gelsenkirchen

2011


Promotionskomitee:

  1. Mitglied (Betreuer): Prof. Dr. Wilfried Schnepp, UWH

  2. Mitglied: Prof. Christel Bienstein, UWH

  3. Mitglied: Dr. Susanne Schoppmann, Regenbogen e.V. Duisburg

  • Gutachter: Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer, Universität Wien

  • Tag der Disputation: 25.01.2012


In God We Trust,

all others bring data

(W. Edward Deming)


Zusammenfassung

Ziel der im Rahmen dieser Dissertation durchgeführten Studie war es, ein evidenzbasiertes familienorientiertes Unterstützungsangebot für Young Carers und ihre Familien zu entwickeln, zu implementieren und zu evaluieren. Die Studie war ein Projekt des Pflegeforschungsverbunds Nordrhein-Westfalen, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Übergeordnetes Ziel der Intervention war es, Familien in der Bewältigung ihres durch die chronische Erkrankung erschwerten Alltags zu unterstützen und die Lebensqualität aller Betroffenen zu erhöhen. Vor allem die Kinder sollten entlastet werden, um nachteiligen Auswirkungen für ihre gesamte Entwicklung vorzubeugen.

Grundlage der Konzeptentwicklung waren Ergebnisse einer zuvor durchgeführten Grounded Theory Studie, in welcher betroffene Familien u.a. danach gefragt wurden, welche Wünsche und Erwartungen sie an Unterstützung von außen stellen. Darüber hinaus wurden Interviews mit Leitern von britischen Young-Carers-Groups sowie von deutschen Hilfsprogrammen für Kinder von psychisch kranken Eltern durchgeführt, um von den Erfahrungen bereits etablierter Projekte profitieren zu können.

In Kooperation mit einem etablierten und finanzstarken Träger wurde 2009 das Projekt “SupaKids - Unterstützung bei chronischer Krankheit in der Familie” in Hamburg-Altona gestartet, welches das erarbeitete Konzept in die Praxis umsetzt. Das Projekt bietet zwei-wöchentliche offene Gruppen für betroffene Kinder sowie ein monatliches Frühstück für die teilnehmenden Eltern. Darüber hinaus bieten die Projektmitarbeiter Beratung und Informationen hinsichtlich medizinischer, pflegerischer, persönlicher und administrativer Belange an. Quartalsweise finden Familienfeste statt.

Für die Evaluation des Projektes war eine randomisiert kontrollierte Studie (RCT) geplant, die den Effekt der Intervention auf die teilnehmenden Familien mit Hilfe des Konzepts der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Kinder erfassen sollte. Im Verlauf der Implementierung kam es zu unvorhergesehenen Problemen bezüglich der Vernetzung des Projektes sowie der Kontaktaufnahme mit betroffenen Familien, was zu einer erheblichen Verzögerung innerhalb des Studienplans führte. Da das Projekt nur langsam wuchs, und hierdurch die angestrebte Stichprobengröße nicht erreicht werden konnte (per protocol-Stichprobe: sechs Kinder im Vergleich zur errechneten Fallzahl von 150 Kindern), musste das geplante RCT aufgegeben werden. Um dennoch die Wirkung der Intervention auf die Kinder und ihre Familien erfassen zu können, wurde mit problembezogenen Interviews und teilnehmender Beobachtung eine qualitative Evaluation durchgeführt.

Die zentralen Ergebnisse der qualitativen Evaluation zeigen, dass sich das Projekt gut in der Praxis bewährt hat. Die teilnehmenden Familien erleben das Projekt als eine Art “Schutzraum”, in welchem sie a) so sein dürfen wie sie sind, b) sich nicht erklären müssen, c) andere Betroffene in ähnlichen Situationen kennen lernen, d) ihre Sorgen abladen können, e) einen Ansprechpartner für alle Probleme im Alltag haben, f) eine Auszeit von Zuhause erleben, g) eine Zeit der Sorglosigkeit erleben, h) Freunde finden. Das Projekt trägt zur Entlastung der gesamten Familie bei.

Das implementierte Konzept “SupaKids” hat sich als umfassend erwiesen. Der familienorientierte Ansatz des Projektes wird sowohl von den beteiligten Kindern als auch von ihren Eltern sehr geschätzt. Der niederschwellige Zugang sowie die Zwanglosigkeit bezüglich der Teilnahme am Projekt können als die erfolgsbringenden Faktoren angesehen werden.

Abstract

The aim of this study was to develop, implement and evaluate an evidence-based family-centered support service for young carers and their families. The study was a project of the Nursing Research Network Northrhine-Westfalia, and it was funded by the Federal Ministry of Education and Research. The aim of the intervention was to support families in coping with the distress of their everyday life, and to enhance quality of life of all family members. The intervention focused on supporting the children in order to prevent damaging effects on their overall development.

The concept for this study was developed from the findings of a prior Grounded Theory Study, which asked young carers and their parents about their expectations and demands to a support service. Additionally, interviews have been carried out with the project leaders of British young carers groups as well as German support services for children of mentally ill parents, in order to learn from their experiences in running a support service.

In cooperation with an established and well-funded organisation, the project “SupaKids - Support in case of chronical illnes within the family” [SupaKids - Unterstützung bei chronischer Krankheit in der Familie] was started in 2009 in the city of Hamburg. This project delivers the developed concept into practice. The project takes place in an independent youth center, where the children meet for some hours twice a week (at a so called “young-carers-group”). During holidays, a daily leisure-time program is offered. For the enrolled parents, there are general monthly breakfast-meetings. Additionally, festivities for all enrolled families are held each quarter.

Originally, it was planned to measure the project’s effectiveness with an RCT using the childrens’ health-related quality of life as the outcome criterion. This design faced several problems involving networking and getting in touch with young carers, which led to a huge delay within the research schedule. As the project was growing too slowly, the calculated sample size of 150 children (against 6 children per protocol) could not be reached. Thus, the design needed to be changed. In order to assess the project’s impact on the children and their families, a qualitative evaluation was carried out using problembased interviews and participatory observation.

The results of the qualitative evaluation show that the project has delivered an optimal perfomance in practice. Both parents and children value the project as a kind of shelter, where they: a) are allowed to be as they are, b) don’t have to explain themselves, c) meet others in similar situations, d) deposit their sorrows, e) have a first port of call for any problem, f) experience a hiatus from the situation at home, g) experience a time of carefreeness, h) find friends.

All families value this shelter as providing copious relief from their life experiences. Therefore, the project’s concept seems to be appropriate. The family-oriented approach is valued by both parents and children. The informal character as well as the low threshold for service provision can be seen as factors which mainly contribute to the project’s success.

Einleitung

Gegenstand dieser Dissertation ist die Entwicklung, Implementierung und Evaluierung eines evidenzbasierten und familienorientierten Hilfsangebotes für Kinder und Jugendliche, die in die Pflege und Versorgung von chronisch kranken Angehörigen eingebunden sind.

Es ist hinreichend untersucht, dass chronische Krankheit nicht nur die erkrankte Person betrifft, sondern sich auf das gesamte Familiensystem auswirkt [1, 2, 3, 4, 5, 6]. Die damit verbundenen physischen und psychischen Belastungen nehmen starken Einfluss auf die Lebensqualität aller Beteiligten [7, 8, 9]. Da Kinder und Jugendliche in die Pflege ihrer Angehörigen eingebunden sein können [10, 11, 12, 13, 14, 15] – oder sogar zur primären Pflegeperson werden (ebd.) – erfordert ihre Situation besondere Aufmerksamkeit. Kinder und Jugendliche, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die regelmäßig für einen oder mehrere Angehörige sorgen, ihnen helfen und sie pflegen, werden in der englischsprachigen Literatur als “young carers” bezeichnet [10, 16, 17, 15]. In Deutschland wird häufig der Begriff “pflegende Kinder” verwendet. Die angehörige Person kann ein Elternteil, Bruder oder Schwester, ein weiteres Familienmitglied sowie auch eine befreundete Person sein.

Während in Großbritannien bereits seit Anfang der 1990er Jahre Forschung zu und innerhalb dieser speziellen Population betrieben wird [18, 19, 20, 10, 21], existierte in Deutschland bis vor kurzem kaum ein Bewusstsein dafür, dass auch Minderjährige bei der Versorgung von chronisch kranken Angehörigen tätig werden. Neben einer Pilotstudie aus dem Jahr 1995 [22] wurde erst 2007 eine weitere Young-Carers-Studie durch Metzing [15, 23] abgeschlossen. Es handelt sich dabei um eine Grounded-Theory-Studie, die im Rahmen des Pflegeforschungsverbunds NRW [24] und unter Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt wurde (Förderkennzeichen 01GT0319).

Ziel der Studie war es, betroffene Kinder (Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden nur von “Kindern” gesprochen. Jugendliche sind hierbei jedoch auch gemeint.) und ihre Familien überhaupt ausfindig zu machen, Art und Umfang der geleisteten Hilfen zu beschreiben und den Bedarf an Unterstützung zu ermitteln. Ferner wurden Faktoren herausgearbeitet, die Einfluss auf das Zustandekommen dieser Pflegesituationen nehmen.

Ein weiterer Fokus lag auf den Auswirkungen, welche die Pflege auf die Kinder ausüben kann und welche Erwartungen sie und ihre Eltern an Unterstützung von außen stellen.

Die Ergebnisse bestätigen, dass betroffene Kinder vielschichtig unter ihrer Situation leiden können [15, 23]:

  • viele haben niemanden zum Reden,
  • sie leben im Verborgenen,
  • sie haben kaum Freizeit,
  • sie fühlen sich sozial isoliert,
  • sie haben Probleme in der Schule und oft hohe Fehlzeiten,
  • sie sind traurig, haben Angst, schämen sich, und
  • sie sind physisch und mental erschöpft.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie war, dass keine spezifischen Unterstützungsangebote für betroffene Kinder und deren Familien in Deutschland verfügbar waren.

In einer Folgestudie, in deren Rahmen die vorliegende Promotionsarbeit entstanden ist, wurde daher auf Metzings Ergebnissen aufbauend erstmals ein evidenzbasiertes familienorientiertes Unterstützungsangebot für Young Carers und ihre Familien entwickelt, implementiert und evaluiert. Auch diese Studie war ein Projekt des Pflegeforschungsverbundes NRW, welches vom BMBF gefördert wurde (Förderkennzeichen 01GT0619).

Übergeordnetes Ziel der Intervention war es, Familien in der Bewältigung ihres durch die chronische Erkrankung erschwerten Alltags zu unterstützen und die Lebensqualität aller Betroffenen zu erhöhen. Vor allem die Kinder sollten entlastet werden, um nachteiligen Auswirkungen auf ihre gesamte Entwicklung vorzubeugen.

Da in Metzings Studie konkrete Wünsche und Erwartungen an Unterstützung von Außen erfragt wurden, konnten folgende zentrale Anforderungen an das zu entwickelnde Angebot gestellt werden. Die Familien wünschen sich:

  • eine zentrale Anlaufstelle
  • jemanden zum Reden
  • Information und Anleitung
  • unbürokratische, flexible Alltagshilfen
  • Auszeiten und Zeit für Eigenes
  • Hilfen durch den “Paragraphendschungel”.

Im Rahmen der Folgestudie sollte das Konzept für ein solches Unterstützungsprogramm erarbeitet, in einer Kommune implementiert und evaluiert werden. Für die Evaluation war eine randomisiert kontrollierte Studie geplant, die den Effekt der Intervention auf die teilnehmenden Familien mit Hilfe des Konzepts der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (health-related quality of life [HRQOL]) der Kinder erfassen sollte.

Mit der Implementierung eines neuen Konzeptes wird immer Neuland betreten. Zwar war durch die Ergebnisse der Grounded Theory Studie bekannt, welche Arten von Unterstützung für die betroffenen Familien angezeigt sind. Bezüglich der praktischen Umsetzung existierten jedoch keinerlei Erfahrungswerte, was im Verlauf des Forschungsprozesses zu unvorhergesehenen und überraschenden Problemen und Effekten geführt hat, auf die spontan und teils auch pragmatisch reagiert werden musste.

Die vorliegende Dissertationsschrift besteht aus fünf Publikationen, die den Forschungsprozess wie folgt widerspiegeln.

Der erste Artikel beschreibt die Problemdarstellung und ist als Einleitung in den Forschungsprozess zu verstehen. Er stellt die Herausforderungen bei der Entwicklung eines familienorientierten Hilfsangebotes für pflegende Kinder und deren Familien dar, die sich ergeben, wenn das Angebot zum einen der komplexen sozialen Realität der Familien Rechnung tragen und zum anderen wissenschaftlich evaluierbar sein soll.

Der zweite Artikel beinhaltet eine Literaturstudie, deren Ziel es war, verschiedene Assessmentinstrumente zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kindern einander gegenüberzustellen. Ferner wird auf Grundlage der Literaturstudie ein bestimmtes Instrument zum Einsatz bei pflegenden Kindern in Deutschland empfohlen.

Im dritten Artikel werden methodologische Überlegungen zur Bestimmung von konkreten Messzeitpunkten, an denen der Effekt einer Intervention idealerweise erfasst werden sollte, angestellt.

Artikel vier stellt eine Prozessevaluation dar. Darin werden die zahlreichen Probleme, die während der Implementation und Evaluation des Projektes auftraten, sowie die Reaktionen von Seiten des Forscherteams, veranschaulicht. Ferner beschreibt der Artikel, warum das vorgesehene Forschungsdesign der randomisiert kontrollierten Studie zu Gunsten einer qualitativen Evaluation aufgegeben werden musste.

Artikel fünf präsentiert die Ergebnisse der qualitativen Evaluation.

Die Dissertationsschrift endet mit einer abschließenden Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse.

Publikationen

Dieses Kapitel beinhaltet die folgenden wissenschaftlichen Publikationen:

Diskussion

Zum Einstieg in die abschließende Diskussion sollen zunächst die bis hierher gewonnenen Erkenntnisse der Forschungsarbeit kurz umrissen werden:

Das Konzept “SupaKids” ist umfassend und hat sich in der Praxis sehr gut bewährt. Der familienorientierte Ansatz des Projektes wird sowohl von den beteiligten Kindern als auch von ihren Eltern sehr geschätzt. Der niederschwellige Zugang sowie die Zwanglosigkeit bezüglich der Teilnahme am Projekt und dessen Angebote können als die erfolgsbringenden Faktoren angesehen werden. Die teilnehmenden Familien schätzen jede Art von gemeinsamen Aktivitäten. Das Projekt trägt zur Entlastung der gesamten Familie bei.

Diese Erkenntnisse wurden in den vorangestellten wissenschaftlichen Publikationen bereits diskutiert. Betrachtet man nun den gesamten Forschungsprozess rückwirkend, fallen folgende Aspekte noch einmal besonders auf:

Der Kontakt zum Projekt erfolgt ausschließlich über die betroffenen Eltern. Die Kinder sprechen in der Gruppe nicht über die Krankheiten oder die häusliche Situation. Die alternativ gewählte Outcomegröße “HRQOL”, erfasst mittels KIDSCREEN, ist zur Projektevaluation ungeeignet. Die kalkulierte Samplegröße konnte nicht erreicht werden.

Diese Auffälligkeiten werden im Folgenden diskutiert und einer kritischen Reflexion unterzogen. Abschließend werden aus den gesammelten Projekterfahrungen Implikationen für die Praxis abgeleitet, die bei der Planung bzw. beim Start eines neuen Young-Carers-Projektes beachten werden sollten.

Die Eltern behalten die Regie

In allen teilnehmenden Familien waren es die erkrankten Eltern, die den initialen Kontakt zum Projekt aufgenommen haben. Im Rahmen dieses ersten Kontaktes geht es hauptsächlich darum, allgemeine Informationen zu dem Projekt, dem Träger sowie den Angeboten zu erlangen. Dieses vorsichtige “Abklopfen” der Umstände des Projektes kann mit der übermäßigen Vorsicht der Familien erklärt werden, die darauf bedacht sind, möglichst wenig von ihrer häuslichen Situation an Dritte weiterzugeben [15, S.110-13]. Das Agieren der Eltern zeigt aber auch, dass sie weiterhin die “Regie” innerhalb der Familie beibehalten (wollen). Zwar übernehmen die Kinder viele Tätigkeiten und sie unterstützen ihre Eltern bei Dingen, die sie alleine nicht mehr bewerkstelligen können; die letztendliche Entscheidungsgewalt bezüglich familienbezogener Strategien obliegt jedoch weiterhin den Eltern.

Dies ist insofern interessant, als in der Literatur häufig der Begriff der Parentifizierung im Zusammenhang mit den Auswirkungen der häuslichen Pflegesituation zu finden ist [19, 25, 22, 26, 27, 28, 29]. Hierunter wird primär eine “Rollenumkehr” [29, S.96] verstanden, bei der die Kinder zur Übernahme von Elternfunktionen für ihre erkrankten Eltern aufgefordert werden [29, 22]. Dieses Phänomen lässt sich vor allem auch bei erwachsenen pflegenden Angehörigen beobachten, die die Pflege ihrer senioren Eltern im häuslichen Umfeld übernehmen [30, 31]. Das in der vorliegenden Forschungsarbeit beobachtete Verhalten der Eltern unterstützt jedoch die Einschätzung der britischen Young Carers Literatur, in welcher der Unterschied zwischen praktischem und emotionalem Rollentausch betont wird [18, 32]. Damit ist gemeint, dass Kinder ihren Eltern zwar z.B. bei der Körperpflege und Bekleidung behilflich sind. Auf emotionaler Ebene bleiben sie jedoch “Kind” und die Eltern bleiben “ihre Eltern”, und beide Parts wollen auch bewusst in diesem ursprünglichen Rollenverhältnis verweilen. Die Kinder übernehmen zwar Tätigkeitsbereiche innerhalb des Familienalltags, die eigentlich nicht für sie vorgesehen sind, doch die Eltern behalten rollengemäß die letztendliche Entscheidungsgewalt sowie die Initiative in Bezug auf formale Angelegenheiten.

Im vorliegenden Projekt zeigt sich dies vor allem im Erstkontakt und einer daraus folgenden potentiellen Teilnahme. Die Eltern stellen den ersten Kontakt her, und sie entscheiden, ob die Familie am Projekt teilnehmen wird oder nicht. Zwar stellen auch die Kinder Überlegungen bezüglich der Projektteilnahme an, aber letztendlich sind es die Eltern, die sie zu den SupaKids bringen oder auch nicht. Haben sich die Eltern aber für eine Teilnahme am Projekt entschieden, bringen sie ihre Kinder auch dann mit, wenn diese es eigentlich noch gar nicht wollen.

Es handelt sich bei den teilnehmenden Eltern zwar um besondere Eltern, da sie mit Krankheit konfrontiert sind und diese innerhalb der Familie kompensieren müssen, aber sie nehmen weiterhin elterliche Aufgaben wahr: sie bleiben Eltern und sie behalten die Regie.

Hieraus lässt sich ableiten, dass bei weiteren SupaKids-Projekten das Informationsmaterial sowie die Teilnehmeraquise primär auf Eltern zugeschnitten werden muss.

Kinder als spezifische Gruppe pflegender Angehöriger

Wird SupaKids als spezielle Unterstützung für eine spezifische Gruppe von Angehörigen verstanden, dann lassen sich deutliche Unterschiede zu unterstützenden Maßnahmen für erwachsene Angehörige erkennen.

  1. Kinder verstehen sich nicht als pflegende Angehörige Die Kinder wissen zwar, dass SupaKids eine Gruppe für Kinder ist, bei denen ein Familienmitglied an einer chronischen Krankheit leidet. Sie wissen auch, dass sie an der Gruppe teilnehmen, weil auch in ihrer Familie jemand chronisch krank ist. Dennoch empfinden sie sich nicht als “pflegende Angehörige”, und auch das Projekt wird nicht als “Gruppe für pflegende Angehörige” wahrgenommen. Dies mag daran liegen, dass Kinder trotz ihrer familialen Situation mit dem zunächst abstrakten Begriff “pflegend” noch keine Bezüge zu ihrer eigenen Lebenswelt herstellen können. Auch in Großbritannien konnte beobachtet werden, dass sich betroffene Kinder zunächst nicht als “young carers” sehen, da sie sich der Tragweite ihrer Verantwortungsübernahme noch nicht reflektiert bewusst sind [33, 34]. Die Kinder bei SupaKids sehen sich als “Kinder von kranken Eltern”. Sie sind Mitglied einer Familie, die wegen einer Erkrankung “anders” ist als andere Familien. Die SupaKids-Gruppe verstehen sie hauptsächlich als einen Ort, an dem die krankheitsbedingten Einschränkungen des Familienalltags ausgeglichen werden können, und dieses Angebot nehmen sie gerne an. Dies erklärt, warum für sie eher Spiel, Spaß und Bewegung im Vordergrund stehen als Information, Anleitung und Austausch. Die Gruppe bietet die “wohlverdiente” Auszeit von zu Hause, in welcher sie ganz Kind sein dürfen.

  2. Kinder wollen hauptsächlich Kind sein Ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist, dass die Kinder in der Gruppe “einfach nur Kind” sein wollen. Metzing spricht in diesem Zusammenhang vom Bedürfnis “Kind sein ohne Attribut” [15, S.175]. Die Erkenntnisse aus dem Projekt bestätigen die Wichtigkeit dieses Bedürfnisses. Das Kind möchte innerhalb der Gruppe als Kind wahrgenommen werden und nicht als “betroffenes” Kind. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Pflegesituation sowie die Krankheit niemals thematisiert werden dürfen. Aus Sicht der Kinder sollen diese Aspekte jedoch zunächst im Hintergrund stehen. Im Vordergrund steht das “Kind sein”. Im Hintergrund möchten sie aber auch verschiedene Angebote bezüglich der Krankheitssituation verfügbar wissen, welche sie selbstbestimmt – und vor allem in vertraulicher Atmosphäre – in Anspruch nehmen können. Die Kinder möchten selbst entscheiden, wie sich das Verhältnis von “Kind sein” und “Krankheit” verteilt und wann welcher Part fokussiert werden soll. Sie wünschen sich einen geschützten Raum, in welchem sie sich primär austoben und miteinander spielen können. Sie möchten aber – wenn der Mut da oder die “Zeit reif” ist – unter vier Augen und möglichst versteckt vor den anderen Kindern ihre Belange mit den Projektbetreuern klären können. Hierin unterscheidet sich SupaKids von Gruppen für erwachsene pflegende Angehörige. In diesen wollen sich die Teilnehmer aktiv über die Pflegesituation und die Erfahrungen mit der Erkrankung innerhalb der Gruppe austauschen. Sie wollen Informationen und Tipps, Emotionen ausleben, und sie wollen sich mit den anderen Gruppenteilnehmern vergleichen [35, S.88] [36, 37, 38, 39]. Ferner sehen sie “Trost, Zuspruch” und “Ermunterung” als Merkmal einer guten Angehörigengruppe [36]. Diese Interessen und Bedürfnisse konnten im vorliegenden Projekt auch an den teilnehmenden Eltern beobachtet werden (siehe Kapitel 2.5). Die Gemeinsamkeit beider Gruppen (Kinder und Eltern) besteht darin, dass ein Unterstützungsprojekt einen Schutzraum darstellen muss, in welchem man sein darf wie man ist und in dem man ehrliche Aufmerksamkeit und Anerkennung erfährt, die im erweiterten persönlichen Umfeld so nicht existieren. Die konkreten Inhalte bestimmen die Teilnehmer dann selbst – Eltern möchten primär Austausch, Kinder möchten Kind sein.

HRQOL als Outcomegröße

Zum Zeitpunkt der Studienplanung existierten keine spezifischen Assessmentinstrumente für den Einsatz bei pflegenden Kindern, so dass eine geeignete Alternative gefunden werden musste. Obwohl die durchgeführte Literaturanalyse (siehe Kapitel 2.2) das Instrument KIDSCREEN-27 zur bestmöglichen Erfassung von HRQOL bei pflegenden Kindern in Deutschland identifizierte, ist es fraglich, ob HRQOL im Allgemeinen sowie KIDSCREEN im Speziellen dazu geeignet sind, ein Hilfsangebot für pflegende Kinder und deren Familien zu evaluieren.

Dass KIDSCREEN trotz der geringen Fallzahl (n = 6 Kinder und n = 6 Eltern) dennoch verwendet wurden ist unter anderem darin begründet, dass beim Studienstart eine Wechsel des Forschungsdesigns sowie die totale Fallzahl noch nicht vorhersehbar waren, und somit die Datenerhebung mittels KIDSCREEN wie geplant durchgeführt wurde. Im weiteren Verlauf verzichtete das Forscherteam auf die Aussetzung der Erhebung, um anhand der erhobenen KIDSCREEN-Werte die Eignung der Bögen zur Projektevaluation erstmals einschätzen zu können.

Einschränkungen von KIDSCREEN

KIDSCREEN wurde zur Evaluation ausgewählt, da

  • sich die Probleme und Bedürfnisse pflegender Kinder [15, S.174f.] den einzelnen Items zuordnen lassen,
  • ein Vergleich der zu untersuchenden Population mit Normwerten und anderen spezifischen Populationen möglich ist,
  • durch die bereits vorhandenen internationalen Versionen ein länderübergreifender Vergleich von Unterstützungsprojekten denkbar ist.

Innerhalb des Forschungsprozesses zeigte sich jedoch, dass das Instrument vor allem der erstgenannten Anforderung nicht gerecht werden kann (Alle durchgeführten quantitativen Auswertungen finden sich im Anhang A.2, siehe Downloads).

Die KIDSCREEN-Dimensionen sind zu allgemein. Die Items erfassen hauptsächlich generelle Zustände des Alltags und adressieren die Eigenschaften der SupaKids-Gruppen kaum. Mit der Entscheidung für die Verwendung von KIDSCREEN hat das Forschungsteam den Einfluss der Gruppen auf die generelle Situation der teilnehmenden Kinder deutlich überbewertet. Die SupaKids-Gruppen haben eben nicht den Anspruch, die krankheitsbedingte Situation zu verändern, vielmehr bieten sie eine Auszeit von dieser Situation.

KIDSCREEN ist zu unspezifisch. Das Instrument fokussiert auf Erfahrungen, die während der letzten Woche gemacht wurden. Negative Ereignisse, wie z.B. die Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des erkrankten Familienmitglieds, ein Streit oder Probleme mit Schulkameraden, können die positiven Effekte der SupaKids-Gruppe (die unter Umständen über mehrere Wochen aufgebaut wurden) sehr deutlich überstrahlen.

Auch erhebt KIDSCREEN für die Projektevaluation eher unrelevante Werte, die aber im vollen Maße zum Gesamtscore des Bogens beitragen. So werden beispielsweise auch finanzielle Ressourcen (Taschengeld) innerhalb der sozialen Dimension erfragt. Dies ist für das Konzept HRQOL sicherlich ein relevanter Faktor – für die Evaluation eines Hilfsangebotes jedoch zunächst irrelevant, da allein durch die Projektteilnahme keine Änderung innerhalb dieses Items zu erwarten ist.

KIDSCREEN erfasst nur die individuelle Situation der Kinder. Da sich jedoch einerseits chronische Krankheit auf das gesamte Familiensystem auswirkt [1, 2, 3, 4, 5, 6], und andererseits das entwickelte Hilfsangebot explizit familienorientiert aufgebaut ist, wäre ein Erhebungsinstrument, welches auf die Situation der gesamten Familie fokussiert, angemessener. Für erwachsene pflegende Angehörige existieren bereits Instrumente, welche beispielsweise Einfluss und Belastung einer chronischen Erkrankung von Kindern auf die gesamte Familie erheben (z.B. der FaBel-Fragebogen [40]). Doch diese Instrumente sind derzeit nur für bestimmte Themen oder Erkrankungen verfügbar, wobei keines explizit für pflegende Kinder und ihre Familien konzipiert wurde. Darüber hinaus sind diese Instrumente für den Einsatz bei erwachsenen Teilnehmern limitiert.

Erstes Assessmentinstrument für pflegende Kinder

In 2009 veröffentlichten Joseph et al. [41, 42] das erste Assessmentinstrument, welches speziell für den Einsatz bei pflegenden Kindern konzipiert wurde. Dennoch wurde im vorliegenden Forschungsprojekt auf den Einsatz dieses Instrumentes verzichtet, da die Studie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits gestartet war und die erste Datenerhebung kurz bevorstand. Darüberhinaus liegt das Instrument derzeit nur in englischer Sprache vor und es wurden erst wenige psychometrische Tests bezüglich Validität und Reliabilität durchgeführt.

Es ist angezeigt, spezifische Instrumente zur Evaluation von familienorientierten Young Carers Projekten zu entwickeln, mit denen die Wirkungen des Projektes auf die Familie aus Sicht aller Familienmitglieder dargestellt werden können.

Quantitative Erhebungen in Young Carers Gruppen

Quantitative Erhebungen benötigen vergleichsweise große Fallzahlen, um einen Interventionseffekt identifizieren zu können. In der vorliegenden Forschungsarbeit war ursprünglich eine Fallzahl von 150 Kindern vorgesehen. Das Forschungsteam ist davon ausgegangen, dass betroffene Familien sich zügig an das Projekt wenden würden, sobald sie Informationen über die Projektangebote zur Hand hätten.

Die Erfahrungen des Projektes bestätigen jedoch, dass sich zwischen der kognitiven Erkenntnis “Hilfe von außen ist notwendig” und der emotionalen Einsicht “Das Projekt ist für unsere Familie geeignet”, hemmende Faktoren erkennen lassen, welche den Initialkontakt hinauszögern (siehe Kapitel 2.5 und auch [15, S.159]). Diese gilt es für die betroffenen Eltern zu überwinden, und es ist anzunehmen, dass viele Betroffene diesen Schritt nicht schaffen. SupaKids stand im Laufe eines Jahres mit zehn Familien in Kontakt, wobei durchschnittlich sechs Kinder in den Gruppen anwesend waren. Es ist fraglich, ob man überhaupt große quantitative Studien in Projekten wie SupaKids wird durchführen können. Im ursprünglichen Studienplan war eine Fallzahl von 150 Kindern innerhalb von sechs Monaten vorgesehen. Diese Fallzahl innerhalb eines Projektes zu erreichen, ist nach den Erfahrungen mit SupaKids als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen. Die Projekte wachsen langsam, und auch in etablierten britischen Projekten liegt die durchschnittliche Gesamtzahl der teilnehmenden Kinder bei unter 30 [17]. Somit müssten für große Erhebungen bereits mehrere etablierte Projekte – die alle nach dem selben Konzept arbeiten – vorhanden sein.

Ferner kann die Erhebung notwendiger Baselinedaten zu Beginn der Intervention einen negativen Effekt auf das Projekt haben. Ein Charakteristikum von pflegenden Kindern und ihren Familien ist ihre Verschwiegenheit [15, S.110]. Für ein neues Projekt wie SupaKids ist es in jeder Hinsicht schwierig, sich das Vertrauen einer äußerst vorsichtigen und vulnerablen Population zu verdienen. Die Verwendung eines Fragebogens direkt zu Beginn der Teilnahme kann den Prozess der Vertrauensbildung erschweren und sogar die Teilnehmer verschrecken, wenn die Items sehr persönliche Informationen abfragen. In der vorliegenden Studie haben aus eben diesen Gründen drei Teilnehmer keine Einwilligung zur Datenerhebung mittels KIDSCREEN gegeben (was ca. einem Drittel der Stichprobengröße entspricht).

Daraus abgeleitet lässt sich derzeit empfehlen, qualitative Interviews flankiert durch teilnehmende Beobachtungen zur Evaluation der Projekte zu nutzen, um anhand der individuellen Erfahrungen der Teilnehmer den Erfolg oder Nicht-Erfolg des Projektes sehr detailliert beschreiben zu können. Da solche Interviews erst nach einer gewissen Teilnahmezeit im Projekt durchgeführt werden können, wird dem Projektteam ermöglicht, bis dahin eine vertrauensvolle Beziehung zu den teilnehmenden Familien aufzubauen. Dies erhöht die Chance, dass die Familien an einer Evaluation teilnehmen, und dass sie freier über ihre Situation sprechen werden.

Implikationen für die Praxis

Abschließend werden in diesem Kapitel sechs Implikationen für die Praxis aufgezeigt, die bei der Planung eines Young Carers Projektes berücksichtigt werden sollten. Die Aspekte wurden aus den generellen Erfahrungen mit der Implementation von SupaKids (siehe Kapitel 2.4), die sich rückblickend als besonders wichtig darstellen, abgeleitet.

  • Die Finanzierung muss geregelt sein (Erkenntnis aus Kapitel 2.4). Viele Projekte erhalten zunächst nur eine Anschubfinanzierung für ein oder zwei Jahre und müssen dann Jahr für Jahr Gelder zur Refinanzierung einholen. Ist diese nicht gewährleistet, muss das Projekt beendet werden, ungeachtet dessen, ob es “erfolgreich” im Hinblick auf den formulierten Auftrag ist oder nicht. Die Erfahrungen im SupaKids-Projekt zeigen, dass die Etablierung des Projektes den gesamten Zeitraum der Anschubfinanzierung einnehmen kann. Dem folgend müsste das Projekt – sofern keine weiteren Gelder akquiriert werden können – zu einem Zeitpunkt beendet werden, an dem es gerade in einen weitestgehend störungsfreien Regelbetrieb übergegangen ist. Mit der ständigen Bemühung um weitere Mittel werden Ressourcen aufgewendet, die dem Projekt an anderer Stelle fehlen. Daher ist es sinnvoll, sich bereits bei der Projektplanung um realistische Regelleistungen zu bemühen.

  • Das Informationsmaterial sowie die Teilnehmeraquise müssen primär auf die Eltern zugeschnitten werden (Erkenntnis aus Kapitel 2.5). Das Projekt sollte als Angebot für chronisch kranke Eltern beworben werden, welches über mehrere Komponenten verfügt. Hierbei können dann die Entlastungsmöglichkeiten für die gesamte Familie in Form der angebotenen Aktivitäten aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang kann dann explizit auf die Kindergruppe als spezielles Teilangebot für Kinder aufmerksam gemacht werden. Werden die Kinder angesprochen, sollte anstelle des Begriffs “pflegende Kinder” die Bezeichnung “Kinder kranker Eltern” verwendet werden.

  • Betroffene Familien benötigen unter Umständen eine mehrmonatige Bedenkzeit, bevor sie Kontakt aufnehmen und bevor sie sich für eine Teilnahme entscheiden. (Erkenntnis aus Kapitel 2.4 und 2.5). Diese Zeitspanne muss bei der Projektplanung einkalkuliert – und auch von den Mitarbeitern ausgehalten – werden. Auch für den Projektträger ist es wichtig, um diese Bedenkzeit zu wissen, da gerade Träger und Geldgeber gern von Anfang an “Erfolge” sehen möchten.

  • Das Projekt braucht Zeit, um sich etablieren zu können (Erkenntnis aus Kapitel 2.4). Es kann sehr lange dauern, bis das Projekt im Netzwerk der Gesundheitsanbieter und sozialen Projekte sowie in der “Nachbarschaft” akzeptiert und angenommen wird. Daher muss ein Schwerpunkt auf die Vernetzung des Projektes mit anderen Einrichtungen sowie auf Öffentlichkeitsarbeit gelegt werden. Dieser Prozess benötigt neben der notwendigen Zeit eine ausgearbeitete Strategie, in welcher geregelt ist, welche Einrichtungen und Personen mit welchen Informationsmaterialien durch welche Projektmitarbeiter wie und wann angesprochen werden. Zusätzlich muss erarbeitet werden, auf welchen Veranstaltungen sich das Projekt wie und durch wen präsentieren kann. Es ist sehr vorteilhaft, wenn erfahrene Netzwerker im Team sind.

  • Das Projektteam benötigt sowohl männliche wie auch weibliche Mitglieder (Erkenntnis aus Kapitel 2.5). Abhängig von der erkrankten Person kann es innerhalb der Familie zur Einbuße von rollen- und geschlechterspezifischen Aktivitäten kommen. Beispielsweise können Kinder mit ihrem an Multipler Sklerose erkrankten Vater nicht mehr Fußball spielen oder toben. Da die Gruppe gerade von den Kindern als Ausgleich für alle Einschränkungen im Familienleben angesehen wird, ist es wichtig, dass sie innerhalb der Gruppe Vertreter beider Geschlechter zur individuellen Bedürfnisbefriedigung nutzen können.

  • Das Projekt benötigt geeignete Räumlichkeiten (Erkenntnis aus Kapitel 2.4 und 2.5). Der “ethische Schutzraum”, den die Gruppe konzeptionell gesehen anbieten soll, wird für die Kinder durch vertraute und geschützte Räumlichkeiten physisch erfahrbar. Geeignete Räume sind barrierefrei und eignen sich für Gruppenaktivitäten. Sie müssen Platz zum Toben, Spielen, Basteln, Kochen bieten und möglichst ausschließlich dem Projekt zur Verfügung stehen. Es sollte nichts aufgeräumt oder in Sicherheit gebracht werden müssen, weil Dritte den Raum anschließend ebenfalls nutzen. Die Räume sollten den Kindern das Gefühl vermitteln, dass es ihre Räume sind. Hierdurch bauen die Kinder ein Gefühl der Vertrautheit zu ihrer Umgebung auf, die ihnen eine gewisse Sicherheit bietet. Dieser Prozess kann gefördert werden, wenn die Kinder z.B. die Wände selber gestalten dürfen (Wandfarbe, Gemaltes, Gebasteltes).

Die Umsetzung des SupaKids-Konzeptes in die Praxis gestaltete sich insgesamt schwieriger als angenommen. Dennoch war diese Untersuchung von großem Wert, sowohl für die betroffenen Familien, wie für den Versgungskontext und nicht zuletzt auch für mich.

Die Ergebnisse relativieren unsere Vorannahmen zu pflegenden Angehörigen, zu Interventionsforschung und zur Implementierung von Versorgungangeboten. Die grundsätzliche Erkenntnis lautet, dass von den subjektiven Erfahrungen und Bedürfnissen der Betroffenen ausgegangen werden muß. Ansonsten haben Interventionen keine Chance, als hilfreich erlebt zu werden.

Literaturverzeichnis

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